>>>>>> Die Felsenburg Neurathen bei der Bastei <


Von Dr. Herbert Lindner (Dresden)

Leiter der Ausgrabungsarbeiten

des Gebirgsvereins für die Sächsische Schweiz

Strahlender Sonnenschein! Auf der Bastei wimmelt´s von Menschen. Aus allen Teilen Deutschlands, ja, aus fernen, fremden Ländern sind sie gekommen. Fast unheimlich ist der Betrieb: Waben, Motorräder, Autobusse! – Kellner eilen mit übervollen Händen den Durst der ungeduldig wartenden zu stillen. Und diese Aussicht! Jäh stürzen die Felsen fast 200 Meter zur Elbe hinab; auf der anderen Seite steigt das Ufer wieder an zu einer weiten Ebenheit, aus die schroffen „Steine“ des Elbsandsteingebirges emporsteigen, während weiter rechts die gewellten Berge des Erzgebirges ausschwingen. An der Elbbrücke recken sich aus schwindelnder Tiefe riffartig zerfetzte Felsen empor. Viele Tausende steigen den Weg von Rathen hinauf oder kommen ihn herunter; doch vom Wege gehen nur wenige ab. Dafür liegt auch kein Anlass vor, denn die Felsen zu beiden Seiten mit ihren Spalten, Schluchten, Gassen und Winkeln sind zu wenig einladend. – So ist´ s gewesen.


Abb.1(östlicher Teil der Burg)

Seit dem Sommer 1933 ist das aber völlig anders geworden. Gerade in diesen abseits gelegenen, schwer zugänglichen Winkeln und Schluchten ist ein merkwürdiges Leben erwacht. Spaten, Schaufeln und Hacken dringen behutsam ins Erdreich ein; suchende Hände durchprüfen die gelockerte Erde, bis sie plötzlich ein Stück herausgreifen und sauber abwischen: eine Scherbe eines Gefäßes aus dem Mittelalter. Und wie wir nun aufblicken und um uns schauen, da sehen wir, dass die Seiten, die Gassen und Winkel der Felsen einstmals mit der Spitzhacke bearbeitet worden sind, dass wir hier regelrechte, künstlich erweiterte Räume vor uns haben. Der jahrhundertelange Dornröschenschlaf einer eigenartigen Burg ist gestört. Die Felsenburg Neurathen wird ausgegraben.

Wohl hat der Prof. Dr. med. Herb. Befchorner in Dresden schon im Jahre 1907 in dem Jahrbuche IV des Gebirgsvereins für die Sächsische Schweiz „Die Burgen und vorgeschichtlichen Wohnstätten der Sächsischen Schweiz“ alles bisher bekannte über die Burg und ihre Geschichte und Grundlegendes über die Anlage veröffentlicht, aber dennoch war sie für die Allgemeinheit unbekannt geblieben; doch nun ist sie endgültig aus ihrem Schlafe erweckt, vollends seit der Gebirgsverein seine Ausgrabungstätigkeit im Frühjahr 1934 mit Kräften des Arbeitslagers Königstein in größeren Umfange wieder aufgenommen hat.

Was ist das nun für eine seltsame Burg, die sich hier mit ihren Gemächern, zwischen und auf den Felsen von der Basteibrücke an bis zum Kletterfelsen „der Mönch“ buchstäblich eingenistet hatte?

Wie im Erzgebirge die Burgen Lauenstein und Bärenstein von den Wettiner Markgrafen Heinrich der Erlauchte (1221 bis 1288) als Grenzburgen gegen das bedrohliche Vordringen Böhmens errichtet worden sind, so wollte auch er Gebiete des Elbsandsteingebirges einem weiteren Eindringen der Böhmen Halt gebieten. Hier war der Königstein – „der Stein des Königs von Böhmen“ - in böhmischen Besitze. Der Wettiner baute die Burgen Wehlen und Rathen. Als Grenzburg hat die Burg „Altrathen“ – heute Ruine mit Gasthaus - ,die dicht über dem Kurort Rathen liegt, öfters ihren Besitzer gewechselt. Bereits ein Jahr nach dem Tode ihres Erbauers war sie böhmisch; die Adelsgeschlechter derer von Michelsberg und der Birken von der Duba saßen auf ihr. Zu Anfang des 15. Jahrhunderts wurde der Altrathen wieder wettinisch, und zwar gehörte er den Herren von der Ölsnitz. Diese wurden hier zu Raubrittern; doch die Wettiner strebten nach Ruhe und Ordnung in ihrem Lande, und so wurde die Burg schließlich von den Herzögen Ernst und Albrecht eingeschlossen und nach zweijähriger Belagerung zerstört.

Neurathen und Altrathen haben einst miteinander in Verbindung gestanden. Allerdings ist bis jetzt nur eine einzige Urkunde aufgefunden worden, in der von den „beiden Burgen“ Rathen (amba castra Ratny) die Rede ist; sie stammt aus dem Jahre 1361. Im übrigen ist weder aus früheren noch aus späteren Zeiten etwas urkundliches über die Burg Neurathen bekannt. Der Name „Neurathen“ neben Altrathen taucht erst 1755 in Süßes „Historie des Städtchens Königstein“ auf und das ist für viele Anlass genug gewesen, anzunehmen, dass überhaupt die Anlage und der Name dieser Burg in eine viel spätere Zeit zurüchzuverlegen seien, etwas in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, wo sich nachweislich Bauern mit ihrem Hab und Gut in den schwer zugänglichen Felsen der zerstörten Burg vor dem Schweden gebracht haben; die ganze Anlage sei also nichts anderes als eine Bauernzufluchtsstätte gewesen. Andere wiederum glaubten, Neurathen sei wesentlich älter, ging wohl in die Zeit der Sorbenwenden zurück und sei bereits im elften Jahrhundert unter Heinrich IV. zerstört worden. So sollte die „Martertelle“ ihren Namen daher haben, dass sich die Slawen, als die Deutschen unerwartet rasch ins Land kamen, von der Holzbrücke, die sich an der Stelle der heutigen Basteibrücke befand, in der Tiefe gestürzt hätten; dort seien auch viele Menschenschädel und Knochen gefunden worden, was freilich in keiner Weise den Tatsachen entspricht. Dann wieder sollte der Neurathen nur eine Art Corburg des dicht über dem Elbufer gelegenen Altrathen gewesen sein; oder man meinte, er habe nur „gewissen Teilen, sagen wir den Wirtschaftsräumen“, die auf der unteren Burg infolge Platzmangel nicht untergebracht werden konnten, Raum gegeben.

So hatten die wenigen, die überhaupt um die Burg wussten, sich, sich ganz verschiedene Meinungen über sie gebildet; in der breiten Öffentlichkeit hatte sich allerdings niemand um sie gekümmert. Diese beiden Tatsachen sind mitbestimmend für unsere Tätigkeit geworden. Wir wollten Klarheit über die Lage, Ausdehnung und Geschichte der Burg gewinnen; und sollten unsere Vermutungen und Vorstellungen von ihrer Einzigartigkeit zu Recht bestehen, dann wollten wir sie unbedingt der Vergessenheit entreißen. Nicht mehr soll der Einheimische und Fremde achtlos an diesem Denkmal Deutscher Geschichte vorübergehen; er soll es sehen und verstehen und damit auch hier das deutsche Land als Raum der Geschichte des Deutschen Volkes begreifen lernen.

Schon auf der weltberühmten Basteibrücke ist der Besucher im Gebiete im Gebiet der langvergessenen Burg. An ihrer Stelle führte einst eine hölzerne Zugangsbrücke zum oberen Eingang, zum Felsentor, das wir auch heute noch durchschreiten müssen. Die alte Brücke bestand wahrscheinlich aus einem festen und einem fahrbaren, angeblich ledernen Teile, der in das Felsentor zurückgenommen werden konnte. Wie das Felsentor, so war auch der vor ihm in der Mitte der jetzigen steinernen Brücke sich erhebende Felsen, der heute noch den Namen „Steinschleuder“ trägt, zur Verteidigung eingerichtet.. auf beide führten Stufen hinauf. Von der Steinschleuder aus wurden wurde der andringende Feind mit mächtigen Steinkugeln abgewehrt oder der feste Teil der Brücke mit ihnen zertrümmert. Drei gegen Ende des vorigen Jahrhunderts auf ihr gefundene Steinkugeln sind auf der Bastei zu einem Wettindenkmal zusammengefasst worden. Auf dem Felsentore haben wir an Funden und an den in die Felsen zum Tragen von Balken u. ä. eingeschlagenen Löchern und Vertiefungen, den „Falzen“, Baulichkeiten nachgewiesen, von deren Höhe herab jeder Angriff mit Wurfgeschossen abgeschlagen werden konnte.

Unmittelbar hinter dem Felsentor ist im Laufe der Jahrhunderte durch Verwitterung und Felsenstutz, später auch durch den Bau des neuen Weges von Rathen nach der Bastei, vieles zerstört worden. Aus den wenigen noch erhaltenen Spuren mag dort vielleicht auf einen freien Raum für den Vorwerk Rathewalde geschlossen werden. Dann verengt sich der Weg zu einer kurzen, schmalen Felsengasse. Die Felsplatten links und rechts des Weges sind eben und haben Gebäude getragen; vermutlich war der Weg von ihnen überbrückt.

Wenige Schritte weiter folgt links vom Weg ein etwas größerer Platz, der wohl der Burghof gewesen sein könnte. Er ist gründlich durchsucht worden, und sein Anblick hat sich wesentlich verändert. Alls wir im Sommer 1933 mit unseren Ausgrabungstätigkeiten begannen, war er genau so wie die anderen inzwischen freigelegten Felsenkammern von Brennnesseln, Buschwerk, Brombeergestrüpp u. ä. überwuchert; man betrachtete ihn auch als geeigneten Ablagerungsplatz für Unrat und Abfälle aller Art, so dass er ein Bild völliger Verwahrlosung bot.


Abb.5 (turmartiger Aufbau)

Hier haben wir im Frühjahr 1934 die dicht neben dem Basteiwege gelegene und im Jahre1906 schon einmal von Dr. Beschorner untersuchte Zisterne gesäubert und wieder aufgebaut und sie damit vor dem völligen Zerfall bewahrt; sie war ganz in sich zusammengebrochen und zum größten Teil verschüttet. Beim Ausräumen hatten wir nicht nur Erdreich, Laub und Unrat, sondern auch mehr als ein Dutzend bis zu 12 Zentner schwere behauene Blöcke herauszuholen; sie stammten von den eingestürzten alten Umfassungsmauern. Die noch verwendungsfähigen großen Blöcke sind mit anderen Steinen zu einer neuen Einfassung zusammengesetzt worden, so dass wir jetzt ein ungefähres Bild von den einstigen Aussehen der Zisterne erhalten haben. Sie ist im Durchschnitt 2,50 Meter tief in den Felsen hinuntergetrieben, die Umfassungsmauern sind knapp 2 Meter hoch gewesen; ihre Ausmaße betragen oben 6,00 Meter und unten 5,00 Meter und 2,35 Meter. Die Sohle weist in ihrer Mitte eine 0,82 Meter tiefe halbkugelförmige Vertiefung auf, deren Durchmesser 2,30 Meter beträgt. Nach oben war sie durch ein Dach gegen Licht und Schmutz geschützt. Vermutlich ist hier das Regenwasser von den ringsum liegenden Gebäuden und Räumen gesammelt worden. Größe und Art der Zisterne lassen auf eine für längere Zeit berechnete Befestigungsanlage schließen, also nicht nur auf eine Bauernzufluchtsstätte.

Dieser Eindruck verschärft sich noch, wenn man sich die Gesamtanlage der Burg in ihrem vollen Umfange vergegenwärtigt. Über eine Ausdehnung von 250 Metern – von der Basteibrücke bis zu dem heutigen Kletterfelsen „Mönch“ – sind mehr als 20 Räume verteilt gewesen. Der untere Burgausgang – am jetzigen Wege nach Rathen, in der Nähe des Tiedge- Felsens – war, wie die tiefen Falze zu beiden Seiten des Weges zeigen, mit zahlreichen Sperreinrichtungen versehen und höchstwahrscheinlich auch von Räumen überbrückt, so dass hier eine gleich günstige Verteidigungsanlage wie am Felsentor geschaffen war. Außerdem soll, wie uns der Neustadter Pastor Mag. Wilhelm Leberecht Götzinger, der erste Erschließer der Sächsischen Schweiz, vor hundertfünfzig Jahren berichtet hat, sogar noch ein großes Steinernes Tor der Anlage vorgebaut, gewesen sein, und mehrere aus der Tiefe des Wehlgrundes aufsteigende Schluchten sind mit Mauern ausgesetzt worden, um den Feinde ein Eindringen unmöglich zu machen.


Abb.2 (Skizze des Wehrganges)

Und nun zu dem Entscheidenden, zum Wehr und Umgang! – Noch bis zu Beginn der Ausgrabungsarbeiten in den großen Ferien 1933 hatte niemand etwas von ihm gewusst; als wir dort schon einige Zeit vorher Spuren einer solchen Anlage entdeckt hatten, hegten wir zwar mancherlei Vermutungen, aber doch war mehr noch der Wunsch der Vater des Gedankens. Manchen Frühjahressontag waren wir auf den Felsen herumgeklettert, hatten dort geforscht, und jedesmal hatte es neue Entdeckungen gegeben. Bei den planmäßigen Arbeiten aber haben wir dann einwandfrei die Anlage eines Umganges festgestellt, der um einen Teil der Burganlage geführt hat.

Zum besseren Verständnis der „Skizze des Wehrganges“ in Abb. 2 und der übrigen Abbildungen, die den Ausführlichen Aufsätzen in Nr. 8/1988 und Nr. 2 und 6/1934 der Monatszeitschrift „Über Berg und Tal“ des Gebirgsvereins für die Sächsische Schweiz entnommen sind, seien hier noch einige Erläuterungen gegeben. Auf der Wehrgangskizze bezeichnet B den Burghof, Z die Zisterne, 9 die ersten an den Burghof nach Osten sich anschließenden Räume, in die das Bild auf Abb. 1 einen Einblick gewährt. Der untere Teil dieser Räume lag bei Beginn der Ausgrabungen etwa 2 Meter tief unter Erde und Brandschutt.


Abb.3 (Schwedenraum)

Raum 10 ist der „Schwedenraum“ (Abb.3), - so genannt nach der in ihm noch gut erhaltenen Inschrift: CHRISTOPF HASE 1706 WAR TER SWETE IN LANTE ES KUSTETE VIL GELT, die uns von der Not der hierher geflüchteten Bauern aus jener Zeit berichtet, da die Schweden August den Starken von Polen her bis in sein eigenes Land verfolgt hatten. Die Abbildung auf zeigt diesen Raum mit einer bei den Ausgrabungen gefundenen Steinkugel; die Abbildung auf S. 4 gibt die Inschrift selbst wieder.

S ist ein in Abb. 5 wiedergegebener angeschnittener turmartiger Aufbau aus hartgebranntem Lehm mit einem äußeren Sandsteinkranze und einer inneren Granitsteinaussetzung. Die Eigenartigkeit des Aufbaues und der weite Rundblick von dort lassen annehmen, dass dies ein Signal- oder Wartturm gewesen ist, von dem aus Feuersignale gegeben wurden. Hier ist auch der östliche Zugang zu dem Wehrgange gewesen. Unmittelbar hinter dem Wartturm ragt (Abb. 5) der Mönchfelsen hervor, der etwa 50 Meter entfernt liegt. Auf ihm hat der äußerste Wachposten gestanden; für ihn war ein kleiner, vom Bahnhofe Rathen aus jetzt noch sichtbarer Raum, das bekannte „Mönchloch“, in den Felsen eingehauen worden.


Abb.6 (Wehrgang -Blick vom Ferdinandstein)

Auf dem Bild in Abb.6 ist der gesamte vom Ferdinandstein aus sichtbare Zug des Wehrganges eingezeichnet. Etwa auf der Mitte dieses Bildes, beim fünften Pfeile, ist die Stelle, an der der Wehrgang, der bis dahin auf den vordersten Felskuppen am Rande der Martertelle verlief, scharf im rechten Winkel umbog und nun über dem Wehlgrunde, hauptsächlich in teilweise künstlich erweiterten Felsspalten, zwei tiefe, 10 und 7 Meter breite Querschluchten überbrückend, seinen Weg nahm. Einen Durchblick durch ihn zeigt das Bild auf S.7.

Dieser umfangreiche und nicht ohne große Mühe erbaute ehemalige Wehrgang beweist einwandfrei, dass die gesamte Anlage tatsächlich eine Burg gewesen ist. Die in großer Wenige gefundenen Scherben und Reste anderer mittelalterlicher Gebrauchsgegenstände sprechen ebenfalls für eine stärkere Besatzung, die auch bequem in den weitverzweigten Gemächern untergebracht werden konnte. Vergleicht man jetzt Alt- und Neurathen im Raum und in der Anlage miteinander, so kann Altrathen eigentlich nur noch als Vorburg neben seinem größeren Bruder bestehen. Sicher sind von 1467 bis 1469 beide Burgen zusammen belagert worden, wie denn wahrscheinlich überhaupt der Name Rathen im Mittelalter für beide Burgen gemeinsam gegolten hat und somit auch ihre Geschichte die gleiche ist. Jedenfalls ist, nach den Funden zu urteilen, die in einem Schaukasten ausgestellt sind, auch der Neurathen vom 13. Bis 15. Jahrhundert bewohnt gewesen.

Wenn der Gebirgsverein jetzt den Wehrgang als begehbarer Umgang nach den Plänen unseres Mitarbeiters Dipl. Ingenieur Dr. Ludwig Pezold wiederherstellt, so weiß er zwar, dass aus verschiedenen Gründen das alte geschichtliche Bauwerk nicht genau nachgebildet werden kann; dennoch aber hält er die Wiederherstellung für gerechtfertigt, gibt ein solcher Bau doch dem Besucher erst die rechte Möglichkeit, sich ein klares Bild von der Großartigkeit der Felsenburg zu verschaffen.

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Letzte Änderung am 31.12.2010


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Die Bastei in Der Sächsischen Schweiz (1897)